// Wer programmiert hier wen? / Tipps zur Lösung

Soziale Konstruktion

"I did not expect my Software to be part of the implosion of the finacial world, but I was not surprised."
(Michael Osinski, Artikel vom 29.3.2009 New York Magazin)

Hinter jedem gebauten Automaten stehen kulturell geprägte Welt- und Wertvorstellungen. Durch Hardware und Software werden soziale Konstruktionen geschaffen und/oder verfestig. Sie sind zu finden in den Modellen (Strukturen, Prozessen, Sichten), die bei der Entwicklung der Automaten verwendet wurden.

Ein Bewusstsein darüber, welche kulturellen Werte, Strukturen und Prozesse in und durch Automaten und deren Programmierung festgelegt werden, ist notwendig für nachhaltige Entscheidungen in einer komplexen Welt.

Ein Beispiel für die gesellschaftlichen Verantwortung die Automatenbauerinnen und Softwareentwickler haben, ist eindrücklich beschrieben im Artikel "Mein Manhatten Projekt - Wie ich die Bombe baute, welche die Wallstreet in die Luft jagte" von Michael Osinski (Artikel auf Englisch).

Schauen wir uns das Ganze an einem einfacheren Beispiel an. Nehmen wir an, Sie sollten für ihre Schule einen Kaffeeautomaten evaluieren. Was für ein Zahlungsverfahren würden Sie für den Kaffee bevorzugen? Im folgenden sind ein paar Vorschläge aufgelistet:

Der Kaffee ist zu bezahlen

  1. im Voraus mit einer Prepaidkarte
  2. nach der Wahl des Kaffees
  3. nach der Konsumation
  4. irgendwann in eine offene Kaffeekasse
  5. zu einem späteren Zeitpunkt (Kredit, Sammelrechnung)
  6. mit einem Kaffee-Flatrate-Card (Kaffee ohne Grenzen)
  7. mit dem Kauf von etwas anderem (Querfinanzierung)
  8. Kaffee ist kostenlos (anderweitig finanziert)
Kaffeeliste

Nachdem Sie sich für eine Variante entschieden haben, überlegen Sie sich, wie es in der Pause rund um den Kaffeeautomaten aussieht:

  • Welches Finanzierungmodell und welches Menschenbild stehen hinter Ihrer Wahl?
  • Mit welchen Problemen ist zu rechnen?
  • Welches waren Ihre Beweggründe? Einfachheit? Sicherheit? Bequemlichkeit? Freundlichkeit?

Stellen Sie sich nun vor, Ihre Entscheidung ist die Grundlage für den Kauf von Kaffeeautomaten in allen Schulen in der Schweiz. Würden Sie immer noch gleich entscheiden? Welche Auswirkungen könnte Ihre Wahl haben? Steigt der Kaffeekonsum? Trifft man sich beim Kaffeeautomaten? Muss ein neuer Typ Kaffeeautomaten entwickelt werden, etc.

Konstruktbewusstsein

Ein Verständnis für die dahinter liegenden Modelle (Strukturen, Prozesse, Sichten) kann helfen auch die tiefer liegenden kulturellen Vorstellungen, Werte und Haltungen der eigenen Kultur bewusst zu sehen und verstehen zu lernen.

Systembeharrung

Sind Modelle einmal etabliert, sind sie oft nur noch langsam und mit Widerstand veränderbar (da bereits viel investiert wurde, die Menschen sich daran gewöhnt haben und es Lobbygruppen gibt). Dies ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb gewisse Innovationen sich nicht durchsetzen. Matthias Horx nennt dies "systemische Beharrung".

Passende Modelle

Ein Modell in einem Automaten passt, wenn die Interaktion den kulturellen Erwartungen entspricht. Stellen Sie sich vor, der Kaffeeautomat würde beginnen mit ihnen über den Kaffeepreis zu verhandeln. Fänden Sie dies passend?

Offene Modelle

Ein wichtiges Designkriterium ist die Ausnahme-Offenheit, d.h. dass es Wege gibt für Fälle die nicht einer Standardsituation entsprechen. Die einfachen Standard-Fälle können gut automatisiert werden. Spezialfälle ausserhalb der Standardlösungen bedürfen individueller Wege und Lösungen. Gut ist, wenn beides möglich ist.

Sie haben sicher bereits Automaten mit einem geschlossenen Weltmodell erlebt, z.B. wenn Sie in einem Webformular zwischen 4 Kategorien wählen mussten und Sie sich zu keiner zugehörig fühlten.

Adaptive Modelle

Zur Zeit gibt es noch wenige lernende Automaten, die sich an den Menschen anpassen. Heute ist es meistens der Mensch, der sich den Automaten anpasst. In Zukunft könnte sich dies durchaus ändern. Doch wollen wir überhaupt den "intelligenten" Automaten?

Fazit

Der Geist der Automatenentwickler/innen widerspiegelt sich im Automaten. Der "Geist" im Automaten widerspiegelt sich in den Benutzer/innen.

Weiterführende Links zur sozialen Konstruktion


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